Architektur war schon immer eine Disziplin des Widerstands. Vom ersten primitiven Unterschlupf bis zur modernen Stadtlandschaft war sie immer eine Antwort auf eine feindliche Umwelt - angetrieben von der Notwendigkeit, Raum zum Leben zu schaffen. Doch heute ist die Herausforderung existenzieller denn je. Die Klimakrise erfordert nicht nur ein Umdenken, sondern einen Paradigmenwechsel. Carlo Ratti, Kurator der 19. Internationalen Architekturbiennale in Venedig, setzt genau hier an. Unter dem Titel “Intelligens. Natural. Artificial. Collective.” lädt die Biennale 2025 dazu ein, Architektur als Synthese unterschiedlichste Intelligenzen zu begreifen - als eine Disziplin, die sich nicht nur auf künstliche Intelligenz und digitale Technologien stützt, sondern auch auf die Weisheit der Natur, der Kollektive und der Wissenschaften.
„Die bisherige Strategie der Architektur zur Bekämpfung der Klimakrise war die Mitigation – die Reduzierung unseres Einflusses auf die Umwelt “, erklärt Ratti. „Aber das reicht nicht mehr aus. Wir müssen lernen, uns anzupassen.“ Diese Erkenntnis ist der Ausgangspunkt einer Biennale, die Architektur nicht mehr als statische Manifestation von Design begreift, sondern als flexibles, lebendiges System. Die Rekordtemperaturen des Jahres 2024, die immer häufiger auftretenden Brände, Überschwemmungen und Dürreperioden zeigen, dass wir uns nicht mehr auf stabile Umweltbedingungen verlassen können. Die zentrale Frage lautet daher: Wie kann Architektur in einer sich radikal verändernden Welt Bestand haben?
Die Biennale versteht sich als Labor. Über 750 Teilnehmer aus Architektur, Wissenschaft, Kunst und Handwerk sind eingeladen, neue Formen des Bauens zu erproben. Dabei geht es um eine Neuverhandlung der Autorschaft: War der Architekt bisher oft der alleinige Schöpfer, schlägt Ratti ein kollaboratives Modell vor, das sich an der wissenschaftlichen Forschung orientiert. Architektur wird hier zu einer Disziplin des Kollektivs.
Die Ausstellung gliedert sich in drei große Themenbereiche:
Natural Intelligence, Artificial Intelligence und Collective Intelligence.
Natural Intelligence untersucht, wie Bauprozesse von Ökosystemen inspiriert werden können – sei es durch die Wiederentdeckung traditioneller Handwerkstechniken oder durch die Verwendung biologisch abbaubarer Materialien wie Bananenfasern oder Biobeton. Künstliche Intelligenz beleuchtet das Potenzial neuer Technologien: von der Robotik in der Bauindustrie bis zur digitalen Rekonstruktion zerstörter Städte. Der Bereich der kollektiven Intelligenz richtet den Blick auf informelle Baupraktiken und gemeinschaftliche Planungsprozesse – von den Märkten in Lagos bis zu den Favelas in Rio de Janeiro.
Herzstück der Ausstellung ist die Corderie dell’Arsenale, in der eine Vielzahl von Projekten in einem modularen, vernetzten Raumkonzept präsentiert werden. Digitale Ebenen erweitern die Ausstellung und ermöglichen neue Formen des Dialogs. Das Raumkonzept spiegelt die Grundidee der Biennale wider: Architektur als dynamisches Netzwerk, in dem große und kleine Akteure miteinander verwoben sind. Die Biennale beschränkt sich jedoch nicht auf den Ausstellungsraum. Da der zentrale Pavillon in den Giardini 2025 renoviert wird, wird Venedig selbst zum Experimentierfeld. Installationen, Prototypen und urbane Interventionen machen die Stadt zu einem lebendigen Labor architektonischer Forschung.
Die Biennale 2025 ist keine Ausstellung im klassischen Sinne - sie ist eine Hypothese, ein Versuch, eine offene Frage. Manche Antworten werden überzeugen, andere scheitern. Aber gerade in dieser Offenheit liegt ihr Wert. Denn in einer Welt, die sich schneller denn je verändert, muss auch die Architektur lernen, sich zu verändern. Intelligens ist ein Appell, Architektur nicht als fertiges Produkt, sondern als Prozess zu begreifen – als ständige Verhandlung zwischen Natur, Technik und Gesellschaft.
Das kuratorische Team für den deutschen Beitrag zur 19. Architekturbiennale in Venedig 2025 steht: Prof. Elisabeth Endres, Prof. Dr. Daniele Santucci, Nicola Borgmann und Prof. Gabriele G. Kiefer – das Team wird die Ausstellung „STRESSTEST“ realisieren, die die Auswirkungen der Überhitzung auf Städte und Infrastrukturen thematisiert. Ziel ist es, die Dringlichkeit dieses Themas erlebbar zu machen und Lösungen für eine klimaangepasste Stadtentwicklung aufzuzeigen.
Das TEAM STRESSTEST nimmt in seinem Beitrag das in der Politik und Fachwelt viel diskutierte Thema der Anpassung unserer gebauten Umwelt an die Überhitzung auf. Die Kuratorinnen und Kuratoren wollen die Dringlichkeit für die Besucherinnen und Besucher des deutschen Pavillons erlebbar machen. Welche Auswirkungen hat Hitze für unser Leben im öffentlichen Raum? Wie können wir uns gegen Hitze schützen und eine klimaangepasste Stadtentwicklung umsetzen? Die Bundesregierung greift diese Fragen in ihrer Hitzeschutzstrategie auf. Ich freue mich, dass sich der Deutsche Pavillon 2025 diesem wichtigen und gesellschaftlich hoch relevanten Thema widmet.
Zu Beginn des Jahres war Carlo Ratti, Kurator der diesjährigen Internationalen Architektur-Biennale, auf der BAU zu Gast. In seinem Vortrag „Senseable Cities“ gab er spannende Einblicke in die Zukunft der Architektur und diskutierte, wie Technologie, Nachhaltigkeit und kollektive Intelligenz das Bauen der kommenden Jahrzehnte prägen werden. Eine kurze Zusammenfassung seines Vortrags finden Sie im Video.
Prof. Carlo Ratti ist Architekt, Ingenieur und Visionär im Bereich Stadtplanung und Technologie. Er leitet das Senseable City Laboratory am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er die Schnittstellen zwischen urbanem Leben und digitalen Technologien erforscht. Als Gründer des Designbüros Carlo Ratti Associati realisiert er innovative Projekte, die nachhaltige und intelligente Lösungen für die gebaute Umwelt schaffen. Ratti ist bekannt für seine Arbeit zur Integration des Internets der Dinge in Städte und Gebäude. Er gehört laut Forbes zu den „50 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt, die die Zukunft gestalten“, und seine Arbeiten wurden weltweit in führenden Ausstellungen wie der Biennale di Venezia und dem MoMA präsentiert.
Nähere Informationen zur 19. Architekturbiennale Venedig 2025 finden Sie hier.