Alexander Brenner sprach mit Elias Baumgarten über das Parler Research House PR39, das er selbst bewohnt.
Alexander Brenner hat einen kritischen Blick auf Bauprodukte. Vieles, das derzeit im Zuge der Industrialisierung des Bauens geschieht, besorgt ihn. Er fürchtet einen weiteren Verlust an Qualität, Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit. Doch sich nur zu beklagen, liegt ihm nicht. Stattdessen verfolgt er gemeinsam mit engagierten Handwerker*innen und Firmen sowie architekturaffinen Bauherr*innen seinen eigenen Weg. In einem Interview hat er jetzt Position bezogen. Wir sprachen vor Ort über sein Parler Research House PR39 und Brenner erklärte die Herausforderungen und Besonderheiten des Projekts, in dem sich Erkenntnisse aus über zwei Dekaden Entwurfs- und Bautätigkeit mit 40 verwirklichten Einzelhausprojekten verdichten.
Baumgarten: Einige nennen dich in der Öffentlichkeit gerne einen „Villenarchitekten“. Du würdest mit enormen Budgets die Wünsche sehr privilegierter Bauherr*innen erfüllen, sagen sie. Das klingt despektierlich, es spricht daraus wohl auch Neid. Gerecht wird es deiner Architektur jedenfalls nicht. Du bist ein kritischer Geist und mit vielem, was derzeit in der Bauindustrie vor sich geht, nicht einverstanden; Standardlösungen sind nicht dein Fall. Lass uns daher zunächst über deine Haltung sprechen, bevor wir zum konkreten Projekt, dem Parler Research House PR39, schwenken: Was stört dich genau, wogegen gehst du an?
Brenner: Heute werden leider große Mengen kritischer Chemikalien am Bau eingesetzt, und um Zeit und Geld zu sparen, erfolgt die Erstellung meist überhastet durch fachunkundiges Personal. Oft findet der Ausbau in feuchtem Zustand statt, und kommende Schäden werden durch den umfangreichen Einsatz von Kunststoffprodukten zu kaschieren versucht. Wir werden regelrecht überhäuft mit einer Schwemme unnötiger oder gar schlechter Bauprodukte. Rohstoffe und Material werden lieber von weit her herangeschafft, als auf regionale Ressourcen zu setzen. Wenn man zum Beispiel hier in Stuttgart Steine aus China kommen lässt, sind diese billiger als solche aus der Region. Selbiges gilt von den Handwerker*innen: Leute aus Osteuropa zu engagieren und anzufordern kostet weniger, als auf einheimische Kräfte zu setzen. Kurze Wertschöpfungsketten und die Stärkung des regionalen Handwerks scheinen kaum jemandem am Herzen zu liegen.
Häuser werden vielfach von vornherein nur noch auf einen Lebenszyklus von rund 25 Jahre ausgelegt und sind wohl danach abbruchreif; sie werden einzig als Ware betrachtet. Allein der Preis pro Quadratmeter interessiert noch. Leider scheint das gesellschaftliche Interesse an guten und nachhaltigen Bauten in Deutschland gering. Zahllose Normen und Regeln bremsen hierzulande zudem Innovationen aus oder verhindern gar einfachere, bessere oder auch traditionelle und bewährte Lösungen. Wir stemmen uns dem entgegen und beschreiten einen anderen Weg. Wir setzen uns ein für Sorgfalt, Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit. Unsere Arbeitsweise ist gesamtheitlich und zielt auf ein Gesamtkunstwerk im bauhistorischen Sinne. All unsere Bauten gestalten wir bis ins letzte Detail, wir entwerfen stets auch die gesamte Inneneinrichtung, Möbel, Licht bis hin zur Gartenanlage. Dabei entwickeln wir immer wieder anspruchsvolle Sonderlösungen, die bisweilen auch fernab von gültigen Regeln und Normen sein können.
Baumgarten: Lass uns konkreter werden: Du verwahrst dich zum Beispiel energisch gegen den Einsatz eines Vollwärmeschutzes. Nur ein einziges deiner Projekte weist einen solchen auf – aus konstruktiver Notwendigkeit.
Brenner: Man überlege sich doch nur einmal, was ein Vollwärmeschutz physikalisch und chemisch bedeutet: Putz, der dann eigentlich eher Kunststoffkleber ist, wird auf eine weiche Dämmung aufgebracht. Aufgrund der starken Dämmwirkung bleibt die Fassade immer kalt und feucht. In einem solchen Milieu gedeihen allerhand Pilze und Algen, das ist unvermeidlich. Also wird der „Putz“ mit Fungiziden und Pestiziden versetzt. Damit diese an der Oberfläche wirksam sein können, müssen sie wasserlöslich sein. Folglich wäscht der Regen fortwährend Giftstoffe in den Boden um das Gebäude. Nach fünf Jahren etwa sind diese dann neu aufzutragen. Wie kann man das ernsthaft wollen und sich dann auch noch großer Nachhaltigkeit und Energieersparnis rühmen?
Wir hingegen setzen heute auf Mauern aus 50 oder sogar 62,5 Zentimeter dicken Porenbetonsteinen – für mich momentan einer der besten Baustoffe auf dem Markt. Außen verwenden wir ein mineralisch-hydrophiles Dickputz-System der Firma KEIM, innen kommt eine Kalkglätte derselben Firma zum Einsatz. Meiner Meinung nach kommen solche bewährten und auch traditionellen Baustoffe viel zu kurz.
Wir wollen uns aber nicht nur beklagen und suchen daher immer nach neuen Möglichkeiten oder entwickeln zusammen mit Herstellern Produkte, die zu unserem Denken passen. Diese müssen nicht immer gänzlich neu sein, sondern können auch Anpassungen oder Modifikationen bereits vorhandener Produkte sein.
Baumgarten: Du hast bereits angedeutet, dass einige eurer Entwicklungen beziehungsweise Details bestehenden Normen und Regularien zuwiderlaufen. Ist das für Firmen und Handwerker*innen, die mit euch zusammenarbeiten, kein Problem? Schließlich laufen sie doch Gefahr, im Schadensfall zu haften.
Brenner: Zuerst: Wir hatten noch nie einen Streit oder gar eine juristische Auseinandersetzung wegen Bauschäden.
Wir arbeiten sehr viel mit den immer gleichen Firmen zusammen, teils seit Jahrzehnten. Unsere Partner sind mit Leidenschaft und Herzblut engagiert. Sie teilen unsere Haltung. Nur wenn wir an weit entfernten Orten in anderen Regionen Deutschlands oder gar international bauen, suchen wir neue, um unser Team vor Ort zu ergänzen. Auch sind wir davon abgekommen Ausschreibungen zu machen, sondern diskutieren Aufgabenstellungen und Herausforderungen gemeinsam, bevor ein Auftrag folgt. Mir ist sehr wichtig, ein gutes, respektvolles Verhältnis und eine Vertrauensbasis mit Handwerker*innen und Firmen zu haben. Auch untereinander unterstützen sich unsere Handerker*innen und wir arbeiten deshalb fast wie in einer modernen Dombauhütte. Für viele unserer Handwerker*innen haben wir mittlerweile auch deren Privathäuser geplant.
Baumgarten: Ich nehme an, eure Bauherren und Handwerker*innen lassen sich von eurer Marschrute leichter überzeugen als Vereinigungen, die auf Zeit und Rendite fixiert sind.
Brenner: Unsere Auftraggeber ermöglichen uns, so zu arbeiten wie wir es für richtig befinden. Ich lese mittlerweile sehr genau aus, für wen wir bauen. Wer mir charakterlich nicht geeignet scheint, für den möchte ich nicht gestalten. Zeigt jemand zum Beispiel keinen Respekt vor meinem Team und den Handwerker*innen, die bei jeder Witterung einen teils sehr gefährlichen Job machen, oder zahlt seine Rechnungen nicht pünktlich, fällt es mir schwer, eine gemeinsame Basis zu sehen.
Baumgarten: Das klingt nach einer luxuriösen Situation. Welche Architekt*in möchte nicht die Wahl haben, welchen Auftrag sie annimmt. Doch es gibt eine Kehrseite: Ihr baut vornehmlich Einfamilienhäuser. Ich weiß, Nachhaltigkeit und Ökologie sind dir wichtig. Bereitet dir das dann keine Bauchschmerzen?
Brenner: Das ist tatsächlich nicht ideal – es ist jedoch etwas, das wir in Kauf nehmen. Gerne würden wir unsere Konzepte künftig auch bei größeren Wohnbauten umsetzen. Glücklicherweise scheint hier aktuell etwas in Bewegung zu kommen: Gleich neben dem PR39 setzen wir das PR41 um, einen Geschosswohnungsbau mit drei großzügigen Loftwohnungen zu je 165 Quadratmetern. Das ist für uns ein Beginn, auch mehr verdichteten Wohnbau zu machen und wir sind deshalb mit Investoren, Bauträgern und Gemeinden im Gespräch. Vielleicht machen wir demnächst mal ein paar Häuser am Stück?
Baumgarten: Beim PR39 jedoch warst du selbst der Bauherr. Das Haus steht gleich neben deinem Atelier. Sicher vorteilhaft…
Brenner: Das PR39 ist ein Experiment. Überhaupt hat jedes unserer Projekte einen gewissen experimentellen Anteil, weil wir uns fortwährend an Neuem versuchen. Mit dem Haus wollten wir die Erkenntnisse aus den letzten gut 25 Jahren verdichten und die Grenzen des Machbaren ausloten. Dabei war die Konstellation natürlich praktisch.
Baumgarten: Bereits von außen sticht der gespitzte Beton der Fassade hervor; einmal hast du vom „Material der Zukunft“ gesprochen. Diese Technik habt ihr schon in mehreren Projekten angewandt und fortentwickelt, zum Beispiel dem Haus im Weinberg.
Brenner: Vor Jahren habe ich gesehen, wie ein irrtümlich betoniertes Fundament von Abbrechern eingerissen wurde. Dabei zeigte sich eine wunderbare Textur, vergleichbar mit einem grobkörnigen Sedimentgestein beziehungsweise Konglomerat. Beim PR39 hat ein Steinmetz aus Niederbayern die Fassade mit dem Meissel entsprechend behandelt. Viele Betrachter denken daher, das Haus sei aus Naturstein. Um diese handwerkliche Anmutung zu verstärken, ließen wir die Ecken und Kanten zudem scharrieren. Dass diese geradlinig verlaufen und keine Stücke ausgebrochen sind, ist dem Steinmetz Miedl zu verdanken.
Bei unseren aktuellen Bauten werden die jeweils regionalen Zuschlagstoffe für den Beton verwendet. So haben diese Häuser immer einen Bezug zur Region und unterscheiden sich untereinander. Im Fall des PR39 handelt es sich um ein helles Kalkgestein von der Schwäbischen Alb. In Stuttgart wird aber auch dunkler Muschelkalk dem Beton zugefügt. Dies war eine Herausforderung für den Lieferanten, denn er hatte darauf zu achten, dass das Betonwerk jeweils vor der Zugabe des Kalksteins sorgfältig gereinigt werden musste. Die Firma Godel-Beton, hat diesen Aufwand mit Leidenschaft und Begeisterung auf sich genommen, wofür ich sehr dankbar bin.
Baumgarten: Bemerkenswert ist der Kontrast, der sich zum betonierten Kamin im Gebäudeinneren ergibt.
Brenner: Der wurde mit einer Systemschalung betoniert. Diese wurde mit 20 Millimeter starken Hölzern belegt. Beim Entfernen der Schalung bricht dabei Material in den Fugen unkontrolliert aus. Während wir sonst sehr präzise planen, bestand hier wenig Kontrolle über das Resultat. Es ist uns wichtig, immer wieder Neues zu wagen und auch Dinge anzugehen, die wir uns vorher nie getraut haben oder gegen die wir bis anhin eine Aversion hegten.
Ich habe gelernt – im Laufe meiner ganzen Karriere und besonders auch beim PR39 –, Unregelmäßigkeiten und Zeichen eines menschlichen Tuns nicht nur zu akzeptieren, sondern wertzuschätzen, denn es wäre schade, ein handwerklich erstelltes Haus wie ein Industrieprodukt erscheinen zu lassen.
Baumgarten: Deswegen durfte auch die leicht schräge Brüstung gleich nebenan stehen bleiben?
Brenner: Einer unserer langjährigen Handwerker der Rohbaufirma Karl Köhler, der inzwischen leider verstorben ist, hat sich beim Einmessen vertan. Er wollte die Brüstung unbedingt abbrechen und seinen Fehler korrigieren – aus Ehrgeiz und dem Anspruch nach Perfektion heraus. Das habe ich abgelehnt. Darüber war er zunächst richtig böse, bevor er schließlich zähneknirschend akzeptiert hat. Er sagte, es sehe grausam aus so und ich würde Probleme mit den Böden bekommen. Doch für mich halten solche Dinge die Erinnerung an die Beteiligten wach. Das ist wertvoll. Menschliches Tun auszumerzen und den Zufall zu vermeiden, finde ich falsch. Diesem Haus merkt man die Freude an, mit der viele Personen an ihm gearbeitet haben. Der Steinmetz zum Beispiel hat acht lange Wochen an der Fassade gearbeitet. Er trieb enormen Aufwand: Für verwinkelte Details an der Balkonbrüstung hat er sich zum Beispiel extra geeignetes Werkzeug selbst gebaut; alles musste perfekt durchgearbeitet sein. Heute ist er so stolz, dass er immerzu von „seinem Haus“ spricht.
Baumgarten: An der Treppe, die ins oberste Stockwerk führt, sind Schraublöcher sichtbar. Auch die Position der Abstandhalter der Bewehrung lässt sich noch nachvollziehen.
Brenner: Früher hätte mich das gestört. Mit der Firma hätte ich gewiss eine Lösung gefunden, das zu verbergen beziehungsweise von vornherein zu umgehen. Die Stiege bedurfte einer komplexen Konstruktion, um ihre ergonomische Geometrie zu realisieren: Sie besteht im unteren Teil aus Ortbeton, der obere hingegen ist ein Fertigteil. Der Bauprozess war aufwendig. Das Fertigelement musste mit einem Kran in Position gehievt werden. Dafür braucht es natürlich Haken. Wieso also die Schraublöcher nicht zeigen? Ich sehe (heute) keinen Grund.
Baumgarten: Auch konstruktiv und statisch habt ihr euch mit dem PR39 ans Limit des Möglichen vorgewagt. Augenfällig ist zum Beispiel die filigrane, verwegen auskragende Überdachung der Dachterrasse aus Beton ganz oben am Haus. Man staunt und hat das Gefühl, dieses Objekt dürfte eigentlich nie und nimmer stehen bleiben.
Brenner: Dieses „filigrane“ Dach bringt es auf schlanke 10 Tonnen. Unser Statiker, Frank Zimmermann von Boll und Partner, hat anfangs eine 140 Millimeter starke Stütze vorgeschlagen. Davon war ich nicht so begeistert und hätte mir eine dünnere vorgestellt. Er ist aber ein begnadeter Tragwerksplaner und ein Fan unserer Architektur. Also ging er noch einmal ans Werk und jetzt sind es 2 x 60 Millimeter Vollmaterial, die über 7 Tonnen Gewicht des Daches aufnehmen.
An dieser Stelle muss man wiederum den Handwerker*innen größten Respekt zollen: Sicher kann man sich vorstellen, was es bedeutet hat, dieses Element an einem Stück zu betonieren – noch dazu in dieser Höhe. Die Firma Karl Köhler und ihre Mitarbeiter boten dafür ihr ganzes Können auf, obwohl anfangs die Idee, dies an einem Stück in Ortbeton auszuführen, als nahezu unmöglich erschien. Unlängst haben aber über 30 führende Rohbauer aus ganz Deutschland anlässlich eines Verbandstreffens das Haus besichtigt und die gesamten Betonarbeiten und diesen Dachbügel bewundert.
Gewiss sind an meinem Haus einige Konstruktionen „auf Kante genäht“ und der eine oder andere Schwund-Riss würde einen normalen Bauherrn bestimmt beunruhigen. Unsere Auftraggeber werden von uns über solche Dinge aufgeklärt, und bei einem Haus für sich selbst kann man auch noch ein bisschen weiter gehen. Deshalb heißt das Haus ja auch „Research House“ und ich genieße jeden Tag das Forschen und Leben darin.