Nachhaltigkeit und Innovation gehen im Bauwesen immer häufiger Hand in Hand. Mit der Smart Circular Bridge in Ulm wurde nun ein wegweisendes Projekt realisiert, das neue Maßstäbe für den Einsatz biobasierter Baustoffe setzt. Die Anfang 2025 eröffnete Brücke zeigt eindrucksvoll, wie Naturfasern als leistungsfähige Alternative zu herkömmlichen Materialien eingesetzt werden können – nicht nur für Fußgänger, Radfahrer und Fahrzeuge.
Flachs gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt. Seit Jahrtausenden wird er für Textilien, Seile und Segel verwendet. Auch in Oberschwaben hat der Flachsanbau eine lange Tradition. Jetzt erlebt der Naturstoff eine Renaissance - als tragendes Element im Brückenbau.
Die „Smart Circular Bridge“ in Ulm ist nach ihrem niederländischen Pendant in Almere die zweite Brücke, die im Rahmen des EU-geförderten Interreg NWE-Projekts „Smart Circular Bridge“ realisiert wurde. Nur wenige Schritte vom Ulmer Münster entfernt überspannt die Smart Circular Bridge die Kleine Blau. Mit neun Metern Länge und fünf Metern Breite wirkt die Brücke für Passanten zunächst unscheinbar. Der Brückenkörper selbst erinnert an Beton, besteht aber aus einem Hochleistungsverbundwerkstoff aus Flachsfasern, biobasiertem Epoxidharz und recyceltem PET-Schaum.
Die Seile bestehen aus Flachsfasern, die in Epoxidharz getaucht wurden, wodurch sie besonders stabil und witterungsbeständig sind. Die Geländerpfosten bestehen aus recyceltem Hartholz einer abgerissenen Brücke. Zur Herstellung des Flachs-Verbundwerkstoffs werden die Fasern in eine Form gelegt, versiegelt und ein Vakuum erzeugt. In dieses Vakuum wird das biobasierte Epoxidharz injiziert und der neu entstandene Verbundwerkstoff härtet aus.
Die Brücke wurde umfangreichen Belastungstests unterzogen, um ihre Tragfähigkeit zu bestätigen. Eine Besonderheit der Brücke ist ihre intelligente Sensorik. In die Konstruktion sind 42 Sensoren integriert, die kontinuierlich Daten über Belastung, Verformung, Temperatur und Umwelteinflüsse sammeln. Diese Informationen werden mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet und dienen der Langzeitbeobachtung des Materials.
Aber auch ein Blick auf das gestalterische Potenzial lohnt sich: Das kunstvolle, geometrisch geformte Geländer wurde vollautomatisch von Roboterarmen gewebt. Neben dem ingenieurtechnischen Aspekt bietet die Brücke auch eine interaktive Komponente: Eine Sound-Agentur entwickelte eine Klanginstallation, die die Bewegungen der Passanten in akustische Signale umwandelt. So wird die Brücke nicht nur zu einem Beispiel für nachhaltiges Bauen, sondern auch zu einem interaktiven Erlebnis, das Wissenschaft und Kunst verbindet.