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Warum lohnt sich die Produktive Stadt?

Die Auseinandersetzung mit dem Konzept der „Produktiven Stadt“ gewinnt vor dem Hintergrund verschiedener Krisen, zuletzt der Pandemie, zunehmend an Relevanz. Diese Ereignisse haben die Verwundbarkeit globalisierter Lieferketten und die Abhängigkeit von weit entfernten Produktionsstandorten deutlich gemacht.

Die in der Charta von Neu-Leipzig angestrebte Etablierung nutzungsgemischter Strukturen und damit die Integration von produzierendem Gewerbe hat Einfluss auf die sich verändernden Anforderungen an nutzungsüberlagernde Räume für Wohnen, Infrastruktur und Arbeiten.

Die Auswirkungen auf stadtstrukturelle, soziale, ökonomische und ökologische Aspekte des Phänomens der produktiven Stadt untersucht die Publikation „Neue Räume für die produktive Stadt“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung vom Frühjahr 2024. Auf die Frage, ob es eine Renaissance der urbanen Produktion gibt, werden vier Felder identifiziert, anhand derer Trends und Treiber diskutiert werden. Unter dem Stichwort Technologie und Digitalisierung werden die Automatisierung von Produktionsprozessen und eine damit einhergehende emissionsärmere und kleinteiligere Produktion genannt, die auch eine Verringerung der Abhängigkeit von globalen Lieferketten und damit eine Förderung der lokalen Produktion impliziert. Darüber hinaus spielen regionale Produktions- und Wertschöpfungsketten eine wichtige Rolle für eine zunehmend auf ökologische Transformation durch Nachhaltigkeit und Suffizienz ausgerichtete Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass eine Dienstleistungsgesellschaft auch Handwerk und Produktion braucht, was die Förderung lebendiger, multifunktionaler Stadtquartiere begünstigt.

Den Ansatz der „Produktiven Stadtregion“ verfolgt auch die IBA’27 StadtRegion Stuttgart. Das breit diskutierte Konzept verbindet dichte, lebenswerte und gemischt genutzte Quartiere, in denen die Menschen wohnen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen, in denen aber auch emissionsarme Industrie und urbane Landwirtschaft ihren Platz haben.

Zur Frage der Produktion gehören auch Themen wie die Zukunft der Innenstädte und die vielfältigere Nutzung von Bahnhöfen und deren Umfeld als Orte der Begegnung. Denn was macht Innenstädte in Zukunft attraktiv? Wo trifft sich die Stadtgesellschaft, wie können Flächen anders und besser genutzt werden? Für viele Räume in der StadtRegion Stuttgart eröffnet sich die Chance, sich neu zu erfinden. Die Produktion kehrt in die Stadt zurück, Industrieareale werden zu neuen Stadtbausteinen.

Wie das gehen kann, zeigt das IBA'27-Projekt „Produktives Stadtquartier Winnenden“, das ein dichtes Quartier plant, in dem sich Gewerbe und Wohnen flächensparend überlagern. Der Siegerentwurf von JOTT architecture and urbanism basiert auf differenziert angeordneten Gebäude-Clustern. Lärmintensive Gewerbenutzungen sind im Blockinneren um Gewerbehöfe angeordnet, Wohnungen, Kita und Stadthaus orientieren sich nach außen. Dank einer Quartiersgarage findet das Gemeinschaftsleben entlang autofreier Straßen auf öffentlichen Plätzen und Gemeinschaftsflächen statt.

Produktive Stadt kann aber auch kleinteilige urbane Landwirtschaft bedeuten, die die Stadt mit hochwertigen Lebensmitteln versorgt und die Klimaanpassung und Biodiversität erhöht. Bei Fellbach treffen im IBA'27-Projekt “AGRICULTURE meets MANUFACTURING” landwirtschaftliche Produktionsflächen auf das größte Gewerbegebiet der Stadt. Von der Frage nach den Gebäuden und Orten für die industriellen Produktionsweisen der Zukunft bis hin zur Sicherung der urbanen Landwirtschaft und damit der lokalen und nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln wird in einem breiten Dialog zwischen den Akteuren eine übergreifende Vision für das Gebiet entwickelt. Bis zum Präsentationsjahr der IBA'27 im Jahr 2027 kann so aus dem Bestand ein Modell für eine zukunftsfähige urbane Produktion entstehen, das auch auf andere Orte übertragbar ist.