8. November 2024
Während die Corona-Pandemie den länger währenden Aufwärtstrend der europäischen Bauwirtschaft lediglich kurz unterbrach, verhindern die Folgen des Ukrainekriegs mittelfristig weiteres Wachstum. 2026 dürfte das Bauvolumen den Wert von 2022 knapp verfehlen. Zu den Gründen zählen unter anderem die allgemeine Konjunkturabkühlung, der zwischenzeitliche Zinssprung, die erheblichen Kaufkraftverluste und die kräftigen Baukostenzuwächse. Daneben existieren vielfältige länderspezifische Faktoren, die die Einzelmärkte zusätzlich beeinflussen, wie zum Beispiel die staatliche Bauförderung. Im Rahmen der BAU Infogespräche am 7./8. November 2024 stellte Ludwig Dorffmeister, ifo-Branchenexperte für Bau und Immobilien, die aktuellen Zahlen zur Baukonjunktur vor.
Laut der Sommer-Prognose 2024 wird die europäische Bautätigkeit im Zeitraum 2023/24 um insgesamt 4% zurückgehen, danach bis 2026 aber nur um 3% zulegen. Das Tiefbausegment wird seine Expansion unbeirrt fortsetzen (+7,8%). Aus Sicht des Branchenexperten Ludwig Dorffmeister liegt dies unter anderem daran, „dass für die umfangreichen Investitionsbedarfe der Verkehrs- und Energieinfrastruktur weiter genügend öffentliche und private Gelder mobilisiert werden können.“ In seinen Ausführungen erläuterte Dorffmeister außerdem: „Der Nichtwohnhochbau dürfte trotz der durchwachsenen wirtschaftlichen Aussichten immerhin moderat wachsen (+2,7%), wobei das Vor-Corona-Niveau außer Reichweite bleibt.“
Der Wohnungsbau, auf den fast die Hälfte aller Baumaßnahmen in Europa entfällt, ist in den Jahren 2023 und 2024 um insgesamt ein Zehntel geschrumpft (Neubau: -18%). Die Chancen auf eine deutliche Erholung in den kommenden Jahren werden als gering eingeschätzt (-4,3%). Entsprechend zurückhaltend fällt die Genehmigungsprognose aus. Das Auslaufen einer äußerst freigiebigen Fördermaßnahme zur Gebäudesanierung in Italien drückt den gesamten Bestandsektor ins Minus. Ohne Italien lägen die Bestandsmaßnahmen 2026 um 4,2% über dem Wert von 2023.
Hinter dem Minimalzuwachs des europäischen Bauvolumens im Zeitraum 2024 bis 2026 um 0,3% verbergen sich auf Länderebene ganz unterschiedliche Entwicklungen. So dürften in Polen die erbrachten Bauleistungen bis 2026 um 15,2% gegenüber 2023 zunehmen. Danach folgen Irland (+9,5%), Tschechien (+8,3%), Schweden (+8,0%) und Norwegen (+7,6%). Für das Schwergewicht Großbritannien wird ein Plus um 6,1% vorhergesagt. Tatsächlich fallen die mittelfristigen Bauprognosen für die meisten Länder positiv aus. Gleichzeitig befinden sich die Märkte in den drei großen Ländern Italien (-6,7%), Deutschland ( 4,1%) und Frankreich (-4,0%) jedoch auf Talfahrt und verhindern damit ein günstigeres Gesamtbild.
In Deutschland kletterte das Bauvolumen in den Jahren 2014 bis 2020 um nahezu 13%. Die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die starke Zuwanderung und die auch deshalb steigende Wohnungsnachfrage, das günstige Finanzierungsumfeld, die Anstrengungen zur Wohngebäudemodernisierung und das staatliche Bekenntnis zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur führten den Markt auf ein 21-Jahres-Hoch.
Die durch die Pandemie ausgelöste Rezession bremste in der Folgezeit die Nachfrage nach neuen Nichtwohngebäuden. Die Investitionen in den Bestand öffentlicher und gewerblicher Gebäude gingen in den vergangenen Jahren weiter zurück, was unter anderem an der veränderten geographischen Ausrichtung vieler Unternehmen und den limitierten Spielräumen der Kommunalhaushalte liegen dürfte. 2024 wird der Nichtwohnhochbau seine Korrekturphase aber abschließen und trotz der vielen strukturellen Probleme (z.B. Energiekosten, Bürokratie/Regulierung, Fachkräfteangebot) 2025 wieder etwas wachsen. Dafür dürften die Kaufkraftgewinne, die normalisierte Inflation, die wieder günstigere Fremdfinanzierung und ein gewisser Nachholbedarf sorgen. Gemäß der Sommer-Prognose 2024 wird die Bautätigkeit in diesem Segment 2026 zwar in etwa auf dem Niveau des Jahres 2023 liegen – aber 6% unter dem 2020er-Wert.
Der Tiefbau verspürte im laufenden Jahrzehnt ebenfalls Gegenwind, der weitere Zuwächse größtenteils verhinderte. Ob es beim ursprünglich prognostizierten Anstieg der Tiefbauleistungen um 4% im Zeitraum 2024 bis 2026 bleiben wird, ist fraglich. Positiv hervorzuheben, sind die Investitionsanstrengungen der Telekommunikations- und Energieversorgungsunternehmen sowie die – mithilfe von Bundesmitteln – abermals intensivierte Erneuerung des überregionalen Eisenbahnnetzes. Gleichzeitig wird die – insbesondere von öffentlicher Seite erbrachte – Finanzierung von Verkehrsprojekten zunehmend herausfordernder. Beispielsweise hat sich die kommunale Haushaltslage 2023 erheblich verschlechtert und 2024 wird das Finanzdefizit wohl nochmals zunehmen.
Obwohl sich der Bestandssektor recht robust entwickelt und mittelfristig wieder zulegen wird, bleibt der Wohnungsbau das große Sorgenkind. Der Grund dafür liegt in der eingebrochenen Neubaunachfrage infolge der abrupten Zinswende, der Baupreisexplosion und der stark zurückgefahrenen Neubauförderung. Der durch den Ukrainekrieg ausgelöste Inflationsschock verringerte ferner in erheblichem Maße die finanziellen Spielräume der deutschen Privathaushalte. Die Zahl genehmigter Wohneinheiten in Ein- und Zweifamilienhäusern wird sich zwischen 2022 und 2024 mehr als halbieren. Im Mehrfamilienhausbau stellt sich die Situation nur etwas besser dar. Kaufkraftgewinne, wieder nachgebende Zinsen, eine Entspannung auf dem Grundstücksmarkt und kontinuierlich steigende Mieten werden Wohnungsbauvorhaben mittelfristig zwar wieder attraktiver machen. Die durch eine Vielzahl an (staatlichen) Vorgaben bedingte, immense Kostenbelastung bleibt allerdings das große Thema und spricht gegen eine kurzfristige Trendumkehr. 2026 dürfte das Wohnungsbauvolumen um 14% niedriger ausfallen als 2021 (Neubau: 41%).