Mit Liu Jiakun ehrt der Pritzker Architecture Prize 2025 einen Architekten, der mit stiller Konsequenz Architektur als Spiegel von Menschlichkeit, Geschichte und Gemeinsinn neu definiert.
Manchmal spricht Architektur leise - und sagt doch alles. Der international renommierteste Architekturpreis, der Pritzker Architecture Prize, geht in diesem Jahr an den chinesischen Architekten Liu Jiakun, geboren 1956 in Chengdu, Volksrepublik China. Seine Bauten sind verdichtete Erzählungen: reduziert im Ausdruck, reich an Bedeutung.
Die Pritzker-Jury würdigt ihn als einen Gestalter, der neue Wege des Zusammenlebens aufzeigt – lokal verankert, global verständlich.
Ob ein Zementrelief für ein Erdbebenopfer oder ein lebendiges Stadtviertel wie das West Village in Chengdu - Liu Jiakuns Architektur antwortet mit stiller Poesie auf reale Bedürfnisse. Seine „Rebirth Bricks“ aus Trümmern des Wenchuan-Erdbebens und Weizenfasern stehen sinnbildlich für seine Haltung: Bauen als Akt der Heilung, mit Materialien, die Geschichten tragen. Auch in seinen Museumsbauten verwebt er Tradition und Gegenwart, etwa im Suzhou Museum of Imperial Kiln Brick. Liu arbeitet mit dem, was da ist - mit lokalen Ressourcen, handwerklicher Würde und einem tiefen Gespür für Atmosphäre.
Ein schlichtes Zelt aus verputztem Beton, errichtet nach dem verheerenden Erdbeben von Wenchuan, steht das Hu Huishan Memorial als stilles Symbol für Verlust und Erinnerung. Abgeschirmt von der Außenwelt gibt es nur durch ein kleines Guckloch Einblick in sein Inneres - Sonnenlicht fällt auf einen leeren Hocker. Inmitten einer bewaldeten Landschaft wird das Gebäude zu einem kollektiven Ort des Innehaltens: eine fragile Geste gegen das Vergessen.
Vergangenheit trifft Gegenwart: Das Shuijingfang Museum umschließt historische Holzbauten mit neuer Architektur aus Sichtbeton und „Rebirth Bricks“. Lichtschlitze, Höfe und traditionelle Dachformen schaffen ein kontemplatives Raumerlebnis – zwischen alten Öfen und moderner Weinkultur
Ein ganzer Stadtteil als offenes System: Das West Village vereint Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit auf einem Block. Durchlässige Wege, wuchernde Wildpflanzen und Räume für Bewegung und Begegnung machen aus urbaner Dichte ein Modell für gemeinschaftliches Leben in Vielfalt.
Lius Weg zur Architektur war kein gerader. Erst spät, nach Jahren im chinesischen Arbeitsdienst und einem zunächst enttäuschenden Studium, entdeckte er die Gestaltungskraft des Raumes. Heute schreibt er nicht nur Räume, sondern auch Texte - seine Architektur ist eine Form der Erzählung. Die Jury des Pritzker-Preises sieht in ihm einen Architekten, der nicht nur baut, sondern Fragen stellt: nach Gemeinschaft, nach Zukunft, nach Gerechtigkeit. Die Preisverleihung im Louvre Abu Dhabi unterstreicht den Dialog, den Lius Werk eröffnet - zwischen Kulturen, Zeiten und Menschen.
Der Pritzker-Preis gilt als die höchste Auszeichnung der Architekturwelt und wird oft als ihr “Nobelpreis" bezeichnet. Er wurde 1979 von der Familie Pritzker über die Hyatt Foundation ins Leben gerufen, um lebende Architektinnen und Architekten zu ehren, deren Werk durch Talent, Vision und soziales Engagement einen bleibenden Beitrag zur gebauten Umwelt und zur Menschheit leistet. Die Preisverleihung findet jährlich in unterschiedlichen Städten weltweit statt und würdigt dabei herausragende architektonische Leistungen.